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Deutsch als Fremdsprache

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Der Fremdsprachenunterricht des 19. Jahrhunderts war – neben dem systematischen Studium der Grammatik – ganz von der Beschäftigung mit Literatur geprägt. An Schulen und Universitäten ließ das Studium herausragender literarischer Werke des Zielsprachenlandes kaum noch Zeit für praktischere (heute würde man sagen: kommunikative) Lernziele. Die Ausrichtung auf Schriftsprache, auf literarische Texte war so stark, dass ein französischer Unterrichtsminister im Jahr 1904 unumwunden zugeben musste: „J’ai été un brillant éléve d’allemand, et la première fois que je suis arrivé en Allemagne, j’ai eu toutes les peines du monde à demander de la bière e à quelle heure partait le train.“ (Ich war in Deutsch ein ausgezeichneter Schüler, aber das erste Mal, als ich nach Deutschland kam, hatte ich größte Mühe, ein Bier zu bestellen und zu fragen, um wieviel Uhr der Zug abfährt).

Mittlerweile sieht es ganz anders aus. Spätestens nach der „kommunikativen Wende“ in den 1970er-Jahren ist Sprachunterricht an Schulen und Universitäten praktisch orientiert, sollen die Lernenden vor allem in die Lage versetzt werden, sich im Zielsprachenland oder im Umgang mit Anderssprachigen möglichst problemfrei zurechtzufinden, den Anforderungen des Alltags verbal gewachsen zu sein, im Berufsfeld die passenden Sätze und Floskeln parat zu haben und auch im privaten Bereich den sprachlichen Erwartungen der fremdsprachigen Mitmenschen zu entsprechen.

Seit der Jahrtausendwende, mit der zunehmenden Tendenz zu einem rein pragmatischen Bildungsverständnis, mit einem wachsenden Bedarf nach leicht und schnell abprüfbaren Kompetenzen (oft auch durch Computerprogramme), nach Standardisierung der Inhalte und Evaluierung des Unterrichtsgeschehens, dominiert auch im Fremdsprachenunterricht das Prinzip der Gebrauchsorientierung – an Schulen und Universitäten ebenso wie an privaten oder halböffentlichen Institutionen (wo das Erlernen einer Fremdsprache seit jeher einen vor allem praktischen Stellenwert besaß).

Für Literatur steht da wenig Raum zur Verfügung. Literarische Texte werden nur als Sprech- oder Schreibanlässe verwendet, nicht selten in vereinfachter Form präsentiert unter völliger Missachtung ihrer ästhetischen Eigenart. Denn in solchen Texten kommt es nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Mehrdeutigkeit, Perspektivenwechsel, der „fremde Blick“ auf scheinbar vertraute Erscheinungen, der spielerische – oft verstörende – Umgang mit sprachlichen Regeln sind meist nicht erwünscht, wenn es darum geht, „den (Deutsch als) Fremdsprachenunterricht nur noch an leicht überprüfbaren ‚outcomes‘ und standardisierten Handlungskompetenzen auszurichten und komplexere Themen, Inhalte oder Kompetenzen weitgehend zu ignorieren“.1

Die Forderung nach einer „Reliterarisierung des Sprachunterrichts“ wurde von Harald Weinrich in seiner oft zitierten Vorlesung „Von der Langeweile des Sprachunterrichts“2 bereits 1981 – also unmittelbar nach der „kommunikativen Wende“ – erhoben und ist seither nicht mehr verstummt. Denn literarische Texte haben es im Allgemeinen an sich, dass sie – wie Weinrich es ausdrückt – „gerade nicht die platte Natürlichkeit des Sprachgebrauchs anstreben“. Sie besitzen gegenüber der Alltagssprache „die Qualität der Fremdheit“, einer Fremdheit, die die Rezeption des Textes „künstlich verlangsamt“.

Während es also im pragmatisch orientierten Fremdsprachenunterricht um Automatisierung geht, um Einübung und schnelles Verständnis vorgegebener Ausdrucksmuster, verfolgen Lernende, die sich konsequent auf die Lektüre literarischer Texte einlassen, ein anderes Ziel: De-Automatisierung, die Verlangsamung des Lernprozesses, Irritation, ein Gefühl der Fremdheit gegenüber komplexen Inhalten und Sprachformen. Ein solches Ziel lässt sich nur schwer in Kreditpunkten und eingeplanten Lernstunden quantifizieren, aber wer es einmal erreicht hat, kann sich der Nachhaltigkeit des erworbenen Sprach- und Kulturverständnisses sicher sein. Wer einmal eingetaucht ist in die Welt der Erzählungen, Biographien, Gedichte, Satiren, Dramen und Komödien, die uns die Literatur zur Verfügung stellt, wird die Sprache und die kulturellen Einblicke, die sie vermittelt, nicht so schnell wieder vergessen.

Als Orientierungshilfe für die Lektüreauswahl stellt das Café D@F die Seite Buchtipps zur Verfügung, auf der in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Hinweise auf literarische Texte erscheinen, die uns für Deutschlernende als besonders geeignet erscheinen.

Wir wünschen eine angenehme und vor allem nachhaltige Lektüre!

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1 Altmayer, Claus: Zur Rolle der Literatur im Rahmen der Kulturstudien Deutsch als Fremdsprache. In: Altmayer / Dobstadt / Riedner / Schier: Literatur in Deutsch als Fremdsprache und internationaler Germanistik. Stauffenburg Verlag, Tübingen 2014, Seite 28

2 Im Internet abrufbar unter der Adresse https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=14149

 

Impressum  Letzte Änderung:  So., 07. Jan. 2024

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