Deutsch als Fremdsprache
Als Egon wieder einmal besoffen war, saß am Tisch, hing mehr im Sessel als dass er saß, kam plötzlich ein riesengroßer Adler daher, ließ sich nieder auf seinem rechten Knie, faltete seine Flügel sorgfältig zusammen, und sagte:
„Egon, warum trinkst du so viel?“
„Ich trink so viel,“ sagte Egon, „weil wenn ich nix trink, dann passiert garnix. Wenn ich aber was trink, dann passieren die eigenartigsten Dinge. Zum Beispiel kommt ein riesengroßer Adler daher, setzt sich auf mein rechtes Knie, faltet seine Flügel sorgfältig zusammen, und fragt mich, Egon, warum trinkst du so viel?“ Und das find ich interessant.
„Aber“, sagte der Adler, „warum trinkst du so viel?“
„Ich trink so viel, sagte Egon, weil wenn ich nix trink, dann - “
„Ist schon gut, sagte der Adler. Das hast du schon gesagt. Aber warum – also – warum – also – wie jetzt – also -“
Egon sagte: „Wenn du mit meiner Antwort nicht zufrieden bist, dann – dann – kannst gleich wieder fortfliegen.“
„Na gut,“ sagte der Adler, und begann seine Flügel wieder zu entfalten.
Egon sagte: „Bleib da, is eh so fad, brauchst nicht wieder fortfliegen. Red nur weiter mit mir.“
„Ja, aber, sagte der Adler, wieso hast du denn meine Frage nicht beantwortet?“
„Was heißt ich hab deine Frage nicht beantwortet? Ich hab dir eh alles gsagt. Wenn ich was trink, dann kommt ein riesengroßer Adler - “
„Aber jetzt hör schon auf!“ Sagte der Adler. „Das hamma schon g’habt.“
„Also - was willst du jetzt?“, sagte Egon. „Wenn du - “
„Weißt du,“ sagte der Adler, „wenn man so verhandelt, dann geht sich das alles irgendwie nicht aus. Irgendwie geht da nix weiter.“
„Das is aber jetzt deine Schuld,“ sagte Egon. Du stellst immer die gleiche Frage.“
„Und du gibst immer die gleiche Antwort, die gar keine Antwort ist.“
„Und wieso glaubst du, dass du bestimmen darfst, was eine Antwort ist, und was keine Antwort ist?“
„Na, du hast ja mich herbeigesoffen. Nicht ich dich. Ich kann ja auch gleich wieder fortfliegen.“
„Wenn du aber jetzt fortfliegst, dann hast du das Gespräch beendet. Und nicht ich. Dann ist es aber deine Schuld.“
Dann zuckte der Adler mit den Schultern – Egon hatte gar nicht gewusst, dass so ein Adler mit den Schultern zucken kann, entfaltete seine Flügel und flog davon.
Egon schaute ihm nach. Irgendwie komisch. Sein rechtes Knie war ja jetzt adlerbefreit, eh nicht schlecht, aber irgendwie doch auch schade.
Ein Rotkehlchen kam herbeigeflogen, setzte sich auf sein rechtes Knie, faltete seine kleinen Flügelchen sorgsam zusammen und sagte:
„Egon, warum trinkst du so viel?“
„Ich trink so viel,“ sagte Egon, „weil wenn ich nix trink, dann passiert garnix. Wenn ich aber was trink, dann passieren die eigenartigsten Dinge. Zum Beispiel kommt ein kleines Rotkehlchen daher, setzt sich auf mein rechtes Knie, faltet seine Flügel sorgfältig zusammen, und fragt mich, Egon, warum trinkst du so viel?“ Und das find ich interessant.
„Jetzt muss ich aber nachdenken,“ sagte das Rotkehlchen. Hast du denn gewusst, dass ich komm, wenn du trinkst?“
„Naja, hätte auch ein Adler sein können,“ meinte Egon, „aber irgendwas kommt immer daher, wenn man aufs Denken verzichtet.“
„Aufs Denken verzichten?“ sagte das Rotkehlchen nachdenklich. „Das – also das, das tät ich aber nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil dann wissert ich ja gar nicht mehr, wohin ich fliegen soll, und auf welches Knie - “
„Na, dann fliegst halt zur Großmutter. Musst nur aufpassen, wegen dem bösen Wolf.“
„Moment – Rotkäppchen war das. Rotkäppchen. Ich bin aber doch ein Rotkehlchen.“
„Ach so – na dann halt - “
„Ja, ja. Sowas kommt vom Trinken,“ sagte das Rotkehlchen schüchtern.
„Wird schon sein,“ sagte Egon, und nahm noch einen Schluck. Und auf einmal ging die Tür auf, und der böse Wolf kam herein. Wie so ein Wolf eine Tür aufkriegt, das weiß man auch nicht.
„Wir müssen das besprechen,“ sagte der böse Wolf. Weil, die Frage ist noch immer nicht beantwortet.“ Jetzt, woher der böse Wolf das wusste, was überhaupt die Frage war, das weiß man auch nicht. Vielleicht wusste er es überhaupt gar nicht, und tat nur so. Böse Wölfe, die tun eh oft nur so. Also setzten sie sich alle zusammen gemeinsam an den runden Tisch, der Egon, der Adler, das Rotkäppchen – ah – Rotkehlchen, oder wer auch immer, und besprachen die Sache. Welche Sache, das wusste der Egon nicht mehr, und die anderen eh auch nicht, aber denen war das eh egal, wahrscheinich. Und dann ging auf einmal schon wieder die Tür auf, und die Großmutter kam herein, sie hatte noch ihr Schlafhäubchen auf. Das nahm sie jetzt ab, faltete es sorgfältig zusammen, richtete sich ihre Frisur, und sagte: „Kinder, es ist Zeit. Ab ins Bett, alle miteinander.“
Am Tag darauf war die Großmutter ein Großvater und gelobte die neue Regierung an.
Impressum Letzte Änderung: So., 13. Apr. 2025