Café D@F

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Deutsch als Fremdsprache

Sonja Henisch

Kolschitzky und Co.

Ich war sechs oder sieben Jahre alt. Es war an einem Sonntag und ich war mit meinem Vater am Vormittag im Kunsthistorischen Museum. Da noch Zeit bis zum Mittagessen war, spazierten wir die Favoritenstraße hinauf. Jetzt standen wir bei der Haltestelle für die damalige Linie 66 und warteten auf die Straßenbahn. Exakt hinter der Haltestelle befand sich ein Zuckerlgeschäft. Papa zog seine Geldbörse heraus und gab mir einen Doppelschilling. Damit durfte ich mir ein Säckchen Seidenzuckerl kaufen. Sie sahen aus wie kleine Polster mit Pastellfarben glänzenden, gestreiften Überzug. Innen waren sie mit einem Schokolade-Nuss Inhalt gefüllt. Während ich in meinem weinroten Mantel dastand und an dem Bonbon lutschte, fiel mir eine Figur an der Hausecke in der Höhe des ersten Stockes auf: ein Mann in Stiefel und mit Pluderhosen war es, dessen Kopf mit einem Turban bedeckt war und der auf einem Tablett aus einer Kanne etwas in eine Tasse goss.

„Papa, wer ist das, was macht der Mann?“, fragte ich.

„Das ist zur Erinnerung an Kolschitzky“, antwortete mein Vater, die nächste Quergasse heißt auch nach ihm.

Einen Augenblick lang schwieg ich. Dann fragte ich weiter.

„Und warum soll man sich an ihn erinnern?“, wollte ich wissen.

„Ohne Kolschitzky hätten wir vielleicht keinen Kaffee in Wien. Siehst du, an der Ecke von dem Gebäude ist ein Kaffeehaus, das Zwerina!

„Und warum ist der Mann so komisch angezogen?“, löcherte ich weiter meinen Vater.

„Es gibt eine Geschichte, vielleicht ist es aber mehr eine Sage, dass Kolschitzky während der zweiten Türkenbelagerung als Spion arbeitete.“

„Papa, was ist ein Spion?“, nervte ich den Vater weiter.

„Ein Spion ist einer, der für zwei Gruppen arbeitet und Nachrichten weiter gibt!“, beantwortete mein Vater die Frage und erzählte weiter.

„Kolschitzky war in Ostgalizien geboren und sprach außer Deutsch auch Türkisch und Rumänisch. Er wagte sich als Türke verkleidet durch die Linien der Belagerer und kehrte mit der Meldung zurück, dass das polnische Heer zur Rettung Wiens schon bald eintreffen werde. Das erzeugte in Wien eine hoffnungsfrohe Stimmung. Nachdem das türkische Heer seine Truppen rund um Wien abgezogen hatte und geflohen war, wollte Graf Starhemberg dem Mann eine Belohnung zukommen lassen.

Kolschitzky wusste, dass im verlassenen Heerlager eine Menge Säcke mit Kaffeebohnen zurückgeblieben waren, von denen niemand den Nutzen wusste. Er erbat diese vom Grafen, denn er kannte die Verwendung. Er eröffnete einen Laden, wo er die Bohnen röstete, sie mahlte und daraus den ersten Wiener Kaffee kochte. Aber erst, als er Zucker und Milch dazugab, waren die Wiener von dem neuen Getränk begeistert.

Doch angeblich war das ein Rumäne mit dem Namen Diodato, dem das gelang. Seither hat das Wiener Kaffeehaus einen gewaltigen Aufschwung erlebt und ist ein Wiener Markenzeichen geworden.“

Endlich kam die Straßenbahn. Ich stieg mit meinem Vater ein und wir fuhren in die Troststraße nach Favoriten, wo die Mutter mit dem Mittagessen auf uns wartete.

Heutzutage gibt es den Diotato-Park, eine kleine Parkanlage, die an diesen zweiten Pionier des Wiener Kaffeehauses erinnert.

Vierzehn Kaffeehäuser finde ich, dank Internetsuche, auf der Wieden. Mit manchen von ihnen verbinden mich Geschichten. Wie mit jenem in der Schleifmühlgasse, in dem eine Freundin jede Nacht auf ihren Mann, der mit dem Taxi fuhr, wartete, damit er nach dem Dienst nicht zu sehr dem Alkohol zusprach. Während ihrer Aufenthalte in diesem Kaffeehaus beriet sie die käuflichen Damen, wenn diese Probleme mit ihren Kindern hatten. Das war zu einer Zeit, als noch keine Sozialarbeiter in Lokalen auf Menschen warteten, die es zu betreuen gibt.

Ich denke auch an Kaffeehäuser, die mir seit meiner Jugend ein Begriff sind. An das Café Hawelka, wo man manifestierte Jean Paul Sarte gelesen zu haben, in dem man schwarz gekleidet erschien und damals die Bilder der fantastischen Realisten bewunderte. Oder die Szene Cafés wie das Alt-Wien, das es noch immer gibt oder das anrüchige Café Sport, wo Gras oder Shit nur in Künstlerkreisen oder jenen, die sich dafür hielten, kursierten. Doch diese liegen nicht im vierten Bezirk. Wenn man H.C. sagte, meinte man H.C. Artmann. Heute höre ich sagen: „Strachle nur weiter, wenn der Mast auch bricht, HC ist dein Begleiter, er verlässt dich nicht!“ Der, der das ausspricht, ist in der Menge nicht zu erkennen.

Ich erinnere mich an ein Café beim Naschmarkt und an Hannes Schneider, der mir als Erster Informationen über die Zugehörigkeiten von Planeten und Metallen anvertraute und mir Impulse gab, mich mit den so genannten Geheimwissenschaften zu beschäftigen.

In einem Kaffeehaus in der Gumpendorferstraße trafen sich die jungen Literaten, die neue Zeitschriften heraus brachten und heute vielfach arriviert sind. Heiße Debatten gab es damals, was für bürgerlich gehalten werden musste und was nicht. Bürgerlich sein, das war ein Schimpfwort in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Jetzt ist wieder Konservativ im Trend, wird zumindest behauptet.

Doch schon um die vorige Jahrhundertwende saßen die brillanten Köpfe unserer Stadt vor einem Mocca oder Einspänner um die Marmortische in Kaffeehäusern, mit Notizblock und Zeitung, um jederzeit einen geistreichen Wortwitz festzuhalten. Daheim hatten sie bloß ein kaltes Zimmer, weil das Geld fehlte.

„Im Kaffeehaus sitzen die Talente so dicht an einem Tisch, dass sie einander gegenseitig an der Entfaltung hindern!“, spottete damals Karl Kraus, der es wissen musste. Denn er saß auch dort, ebenso wie Freud, Hofmannsthal, Loos, Klimt und Schiele, Lehar und Trotzki.

In meiner Kindheit gab es in den Haushalten aber nicht immer Bohnenkaffee.

Feigenkaffee wurde als Zusatz oder als Ersatz verwendet.

Imperial Feigenkaffee: ein blaugemustertes Viertelkilopäckchen. Wenn man es öffnete, fand sich obenauf Plastikspielzeug, häufig Püppchen, Tiere oder Möbel aus Kunststoff. Es bestand keine Gefahr, von diesem Kaffee Herzklopfen zu bekommen. Die Fabrik lag in der Inzersdorferstraße, in Favoriten.

Einmal, gegen Ende meines Studiums, ging ich, nachdem ich bis spät in die Nacht Siebdrucke gemacht hatte, hochschwanger gemeinsam mit meinem Ehemann an der Imperial Feigenkaffeefabrik in der Inzersdorferstraße vorbei. An der gegenüberliegenden Wand war eine Holzplanke errichtet und davor wartete ein Mann in einem schwarzen Mantel. Meine Schwangerschaft war gewiss nicht zu übersehen. Als wir knapp an dem Mann vorbei kamen, öffnete er den Mantel, stand mit erigiertem Glied da und hauchte: „Fräulein! Fräulein!“ Mein Lachanfall bereitete ihm wahrscheinlich kein Vergnügen.

So kann man sicher sagen, dass der Kaffee in Wien mit allen Facetten seines Genusses eine soziale Institution geworden ist. Er bringt Leute zum Verschnaufen ins Kaffeehaus, Intellektuelle, die Gedankenaustausch pflegen, treffen sich im Kaffeehaus, Projekte werden entwickelt, es finden Ausstellungen und Lesungen statt, und das Kaffeehaus bietet romantische Plätzchen. Was wäre, wenn es keine Türkenbelagerung gegeben hätte?

 

Impressum  Letzte Änderung:  So., 13. Apr. 2025

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